KIFF + REVOLUTION

Die berliner "Hascher" haben sich gegen die Angriffe, denen sie sich in letzter Zeit permanent ausgesetzt sehen, gewehrt, mit Recht, so scheint es. Die GrÜnde, welche fÜr die Öffentliche Missbilligung durch gewisse Repräsentanten[1] der Linken angefÜhrt wurden, sind schlicht infantil zu nennen.

Wer die bÜrgerliche Presse oder die sogenannte "liberale Öffentlichkeit", die es in Wahrheit gar nicht gibt, kennt, mÜsste eigentlich wissen, daß es den Scheiß-Spießern, zumal den "freiheitlichen Berlinern", egal ist, ob man nun sinnvoll begrÜnden kann, warum ein Bullenauto etc. demoliert wurde, oder nicht. Wer dabei auf den Segen gewisser progressiver Publikationen hofft, ist in der Tat ein grÖßerer Scheinrevolutionär als die Haschrebellen.

Etwas anderes wäre es gewesen, rationale, konstruktive Kritik, wie sie fÜr Antiautoritäre eigentlich selbstverständlich sein mÜsste, an den Aktionen der "Hascher" anzusetzen. Es ist unzweifelhaft klar, wo gekifft wird, wo Flower-Power praktiziert wird, da wird Marx' "Kapital" und Guevaras "Guerialla-Theorie und Methode" wohl kaum gelesen, und es ist ebenfalls analysiert worden, daß die Radikalität der Hascher und der AngehÖrigen hippieähnlicher Subkulturen meist Über einen unverbindlichen Pazifismus, der durchaus bÜrgerliche Elemente in sich hat, nicht hinauskommt. ähnlich wie bei den Rockern wird der Protest dadurch ziemlich unreflektiert.

Die Anlehnung des Konsums und der spätkapitalistischen Klassengesellschaft allein macht noch keine Revolutionäre, der Konsum von Rauschgift als Gruppenideologie ist aus bereits erwähnten GrÜnden effektiv abzulehnen.

Gleichfalls wird die sexuelle Befreiung, wenn sie zur Promiskuität tendiert, ohne permanente selbstkritische Reflexion der emanzipierten Partner zum gleichen perversen Zerrbild der Partner wie die "normale" bÜrgerliche Ehe.

Die grÖßte Gefahr fÜr die Bewegung der Haschrebellen besteht allerdings nach wie vor in der allgemeinen Resignation. Das "in den Fugen der Macht nisten", "in den LÜcken leben", bedeutet konkret nichts anderes, als die Integration in eine Gesellschaft, die zwar zurecht als katastrophal abgelehnt wird, aber dann noch als unabänderlich und gegeben hingenommen wird. NatÜrlich ist diese Sklavenmoral nichts weiter als Selbstbetrug, potentielle Revolutionäre werden so zu Konformisten, ob sie es wollen oder nicht.

Die einzige reale Alternative dazu ist die Politisierung aller Lebensbereiche. In den USA wurde dieser Schritt bereits erfolgreich vollzogen. Aus Hippies wurden Yippies, aus Pazifisten und Romantikern wurden radikale Revolutionäre, aus Träumern eines utopischen Paradieses wurden Kämpfer fÜr eine neue, bessere Welt.

Mit sozialistischen GrÜßen
(W.O.)

[1] siehe Brief vom EXTRA-Dienst-Guggemos, Seite 16; er arbeitete als Spitzel für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, Deckname "Gustav".

Der Zentralrat antwortet

Die Art, in der uns W.O. in Schutz zu nehmen versucht, klingt schon beinahe rührend. Erst tadelt er die unverbesserlichen Stalinisten, die Hascher doch nicht von der linken "Bewegung" abzustoßen, dann setzt er aber "rationale, konstruktive Kritik" an, wie es für "Antiautoritäre" eigentlich selbstverständlich sein müßte. In seinem Eifer hat er ganz übersehen, daß der Zentralrat zwar "kifft", aber noch nie Flower-Power oder andere "Hippie-Ideologie" propagiert hat. Wir "nisten" auch nicht "in den Fugen der Macht" und leben auch nicht in "Lücken". Wir leben in Kommunen , schweifen umher und kämpfen gegen die Staatsmacht auf den Straßen. Der Hinweis auf die USA ist dumm. Wir sind keine Hippies und wollen auch keine Yippies weren. Wir haben im Gegensatz zu vielen "Linken" und vielleicht auch W. Olles noch nie eine Trennung zwischen Privatem und Politik gekannt.

Nichts für ungut W., wenn Du Marx' "Kapital" ausgelesen hast, kommst du zu uns, rauchst einen Joint mit uns und überwindest an unserer Seite auf der Straße deinen eigenen "Pazifismus". Vorher empfehlen wir dir noch die Lektüre der Schrift Lin Biaos: Es lebe der Sieg im Volkskrieg.

Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen

Der Oberarzt schreibt

2.9.1969

Sehr geehrter Herr O.!

Mit Interesse habe ich Ihren Artikel "Kiff und Revolution" in einer der letzten Nummern von "883" gelesen, aus dem ich entnommen habe, daß wir offensichtlich in einem wesentlichen Punkt übereinstimmen:
Ich bin der Meinung, daß die APO, deren positive Aspekte ich durchaus sehe, sich in der Öffentlichkeit nur diskriminiert, wenn sie sich den Klotz rauschgiftkranker und rauschgiftpropagierender Scheinrevolutionäre ans Bein bindet. Es deckt sich durchaus mit meinem ärztlichen psycho-pathologischen Erfahrungen bei diesen jungen Leuten, daß sie durch Rauschgift - insbesondere Haschischgenuß - jedes ernste Interesse an z.B. auch politischen Zielen verlieren und nicht mehr in der Lage sind, sich für irgendwelche Ziele sinnvoll einzusetzen.

Ich erinnere mich, daß in der gleichen Zeitschrift der Satz steht: "Die Einkünfte aus dem Rauschgifthandel fließen selbstverständlich zum großen Teil in die geheimen APO-Kassen."

...

Dr. med. Dietrich Kleiner

(Teile des Briefes waren durch die Karl Pawla Zeichnung unlesbar)

ein sozialist muss aussehen wie ein spiesser

EXTRA-Dienst kollaboriert mit Polizei-Experten Dr. Kleiner

Nunmehr hat uns der EXTRA-Dienst den Gefallen getan, den endgültigen Beweis für seine konterrevolutionäre Tätigkeit zu liefern. Sein Haß auf die antiautoritäre Jugendrevolte macht ihn zum Komplizen der Ruhe-und-Ordnungsfraktion der herrschenden Clique.

Was in der Sowjetunion bzw. in der DDR nicht erwünscht und deshalb verboten ist, darf nach Guggemos' Willen auch nicht in Westberlin Einzug in die linke Bewegung finden. Lange Haare und laxe Kleidung sind ihm genauso ein Greul wie Kommunen, Maoisten, Guevaristen und Anarchisten. Er glaubt, ein Sozialist müsse aussehen wie jeder Spießer auch. Resultat einer derartigen Politik kann man nach 21jährigem Bestehen der DDR bewundern. Eine arrogante, selbstherrliche Führerschicht regiert das Volk nach technokratisch-staatskapitalistischen Prinzipien, denen auch Ethik und Moral untergeordnet werden. "Moderne" Familiengesetze und voll durchrationalisierte Bildungspolitik passen genauso gut ins Bild, wie hohe Strafen für individuelles Ausbrechen aus dieser Volksgemeinschaft.

Besucht man ein Restaurant oder Lokal in dem ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat und man sieht zufällig wie jemand aus, der in der "Teestube" oder bei "Hertha" verkehrt, dann wird einem klar, daß dort NPD-Mentalität hochgezüchtet worden ist. Will man gar ohne Schlips tanzen gehen, so ist man vollends schlecht beraten.

All' das will Guggemos auch der Westberliner APO aufzwängen, in deren Namen er unverschämter Weise spricht. Doch so ernst sein Brief an Kleiner auch gemeint sein mag, er reizt einen dennoch zum Lachen. Nachweislich haben die Zentralratsmitglieder entweder keine Autos oder aber Typen der billigsten Sorte. So wie Guggemos mit den Autos übertrieben hat, so untertreibt er in der Frage des Grundbesitzes. Ihm mangelt es scheinbar an Aktualität, sonst hätte er wissen müssen, daß der Zentralrat bei seiner Londonreise dem Herzog von Kent seine Ländereien abgekauft hat. Demgegenüber bleibt uns Guggemos immer noch Rechenschaft schuldig, was er mit den über 30.000,- DM aus dem Verkaufserlös der Springerplaketten gemacht hat. (In linken Kreisen wird über einen davon finanzierten Swimming-Pool gemunkelt.) Warum er uns noch seine Unkenntnis über die USA dokumentiert hat, wissen wir auch nicht. Dort ist das Rauchen unter Linken viel verbreiteter als bei uns.

In der Kampagne wider den Revisionismus dürfen wir unsere eigenen Revisionisten nicht vergessen; das Motto muß heißen:

"ZERSCHLAGT DEN BERLINER EXTRA-DIENST, WO IHR IHN TREFFT!"

Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen

Jetzt hat das Gift die Bourgeoisie selbst befallen

Berliner Rauschgiftexperte Kleiner warnt die Bourgeoisie: Jugendliche aus sozial gehobenen Kreisen sind besonders von der neuen Mode des Rauschgiftmißbrauchs befallen. Folgen seien: Vernachlässigungen von Pflichten und Aufgaben in der Schule, Beruf und Körperpflege, psychosoziale Desintegration mit charakterlichem und sozialem Niveauverlust psychischer Nivellierung und Leistungsabfall, gegebenenfalls soziale und familäre Entwurzelung, Möglichkeit einer Hasch-Demenz (Verblödung). Äußere Anzeichen seien: eine Art Trunkenheit ohne Alkohol, gerötete Augen, trockener Mund, stärkerer Durst, Verlust von Gewicht und Appetit, Magenbeschwerden und gegebenenfalls Erbrechen, sowie auffallen enge Pupillen bei besonders gefährlichen Drogen.

Kleiner sieht die Ursachen des "Rauschgiftmißbrauchs" in soziologischen und gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit, was an der Kritik einer aufbegehrenden Jugend deutlich werde. Das sei auch verantwortlich an der Vorverlegung der Altersgrenze (12-13 Jahre) für Rauschgiftgenuß.

Warum macht sich Kleiner besonders viele Sorgen um die Bürgerkinder? Laut Kleiner verbleiben die jungen Menschen aus den einfachen Schichten bei ihrer alten Rauschtradition: dem Bier. Die Erfahrungen des Zentralrats liegen dann auch anders. Der Anteil von Lehrlingen, jungen Arbeitern und (nicht mehr arbeitenden) "Gammlern" am Drogenkonsum ist prozentual mindestens ebenso hoch, wie der von Oberschülern, Studenten und anderen Bürgerjugendlichen.

Kleiners Ideologie ist: wer seine Familie und Klasse verläßt, verhält sich asozial. Er sieht die größten Gefahren des "Rauschgiftmißbrauchs" in der psychosozialen Desintegration sowie einer sozialen und familiären Entwurzelung, - eben in den Hauptstützen der bürgerlichen Psyche und Moral. Hinter dem "Fachausdruck" psychosoziale Desintegration verbirgt sich das wichtigste Klasseninteresse: Verletzung der Homogenität der Klasse der Bourgeoisie; der vom Rauschgift Beeinflußte hört auf, sich als Mitglied einer spezifischen, d.h. hier bürgerlichen Klasse zu fühlen. Dasselbe müßte auch für andere Klassen, zum Beispiel die Arbeiterklasse gelten. Ein Bürger sinkt ab zum "Lumpenbourgeois", ein Arbeiter zum "Lumpenprolet".

Wenn Kleiner erkennt, daß die Ursachen des Drogen-Konsums sozialer Natur sind, warum kämpft er dann nicht gegen die sozialen Mißstände, warum beteiligt er sich nicht an der Revolutionierung der Gesellschaft? Unterstellte man ihm ehrenhafte Motive für sein Handeln, so gliche er einem Arzt, der, anstatt die Krankheit zu heilen, das Fieberthermometer zerbricht. Wie man es auch ansieht, er liegt auf der falschen Welle.

Entgegen Kleiners Interesse, die Bourgeoisie vor Zerfall und Dekadenz zu bewahren, meinen wir, diese Tendenz verstärken zu müssen. Denn je dekadenter die Mitglieder und Verteidiger des herrschenden Systems sind, desto leichter lassen sie sich im revolutionären Prozeß von uns zerschlagen. Der Opiumkrieg hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Er steht nicht mehr in den Diensten des Kapitalismus. Jetzt hat das Gift die Bourgeoisie selbst befallen. Die Einkünfte aus dem Rauschgiftkleinhandel fließen selbstverständlich zum großen Teil in geheime APO-Kassen. Wir dingen uns jedoch aus, daß die Gelder zweckdienlichen Aufgaben zu geführt werden:

GUNS BABY GUNS

Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen

Quelle: Der Blues