Drogen-Kultur

Wenn ich weiter linkes Kabarett gemacht hätte
und nicht abgetaucht wäre,
dann wäre ich auf diesen Zusammenhang auch nicht gekommen.

Aber damals schon, Ende der 60er Jahre,
habe ich mir gesagt:
Wolfgang, du mußt jetzt nicht unbedingt Faschist werden,
aber du mußt jetzt nicht mehr Antifaschist sein,
das mußt du jetzt üben.
Übe mal,
nicht mehr Anfifaschist zu sein.

Mittlerweile sind über 15 Jahre vergangen,
und andere haben auch was gemerkt,
aber meine Krankheit
— das, was viele immer Voraussicht nennen —
hat mir das schon damals gesagt,
und du kannst dir vorstellen,
was das bedeutet zu einer Zeit,
als wir voll auf politischer Agitation drauf waren.
Ich bin ausgestiegen,
weil ich meine Art,
zu protestieren,
nicht mehr hören konnte.

Und einmal sitze ich hier
in meiner Wohnung
mit Puschkin,
genannt Gottfried Lokaso,
ein Neger und persönlicher Freund von Mobutu —
und der törnt mich das erstemal mit Kongo-Gras an.
Und wie wir hier 'ne Pfeife Kongo rauchen,
sagt der Puschkin:
»Weißt du, warum ich bei dir bin —
weil du Geist ausstrahlst.«
Jaja, sage ich,
Kabarettist, intellektuell,
bißchen literarisch.
»Nein«,
sagt der,
»gar nicht Shakespeare,
gar nicht Goethe,
nichts in der Richtung,
das ist ja minderer Geist.«
Ja,
was strahle ich denn für einen Geist aus,
frage ich.

»Einen Geist,
für den mein Urgroßvater
dich hätte erschlagen lassen.
Der hätte diesen besonderen Geist sofort gespürt
und deinen Körper beseitigen lassen,
damit er sich den Geist schnappen kann.«
Ist das Voodoo, Voodoo,
frage ich.
»Ja, so ähnlich«,
sagt er.

In der BRD und Westberlin werden jährlich ein paar Milliarden Jahre Knast verhängt.
Das ist kein Staat,
sondern eine Strafkompanie.
Und der Richter sagt zu mir:
»Herr Neuss,
wir wollen Sie nicht vor Gericht sehen,
hören Sie auf, die Legalisierung der Drogen zu betreiben.«
Also sagen wir jetzt nicht »Droge«,
sondern nennen es »Ekstase«,
»Geist« oder »Gott« —
wir leben in einem Staat,
in dem Gott verboten ist.
Dabei gibt es keinen anderen Weg,
um sich geradezurücken
in dieser Industriegesellschaft
als Geist,
Ekstase,
Gott.
Und wie stehn die Jugendlichen
heute in der Disco?
Links den Joint,
in der Nase Koks,
im Mund den Himbeergeist
und im Arm das Heroin.
Und was haben sie im Koppe?
Nichts.
Ein Nichts,
wie wir es nicht mögen,
tumb.
Warum?
Weil sie den richtigen Umgang mit Ekstase nicht gelernt haben,
weil sie nicht gelernt haben,
daß man mit LSD heute Sterben üben kann,
und anschließend in die Disco ...

Es ist ein Wahnsinn,
diese Leute,
die alles und jedes in sich reinstopfen,
aber ein Wahnsinn ist auch
ein Staat,
der sich anmaßt,
uns diesen Rausch als natürlich und erlaubt
und den anderen als künstlich und verboten
vorzuschreiben.

Der Uniformenrausch,
Freiheit, Ehre, Vaterland —
das gegenseitige Abschlachten —
du sollst nicht töten,
aber abschrekken darfste —
natürlich und erlaubt.
Geldrausch,
Goldfieber,
Geschwindigkeitswahn —
natürlich und erlaubt,
der Overkillrausch,
Pershing — zwei — drei — vier —
natürlich und erlaubt,
Schwefeldioxid,
natürlich und erlaubt.
Sitzt jemand wegen Dioxin im Knast?
Alle diese Gifte,
unauslöschliche Zeichen unserer Super-Zivilisation —
natürlich und erlaubt.
Aber Hasch und Mohn,
Pilz und Mutterkorn —
»künstlich«, »schädlich«, »kriminell«, «krank«.
Doch sobald ich mich darüber errege,
kommt mir der Richter ins Ohr
und sagt:
»Herr Neuss,
denken Sie an Ihre Bewährung.«

Ja, aber,
daß die falschen Gifte und ihre Betreiber legalisiert sind
und die natürlichen illegal,
auf diese zum Himmel stinkende Groteske
wird man doch wohl mal aufmerksam machen dürfen.
Vor allem,
weil sie den Grünen,
der SPD,
den Christen
und den Liberalen
offenbar entgangen ist.
Jedenfalls tun sie so
und bauen Drogenknäste statt Schutzbunker.
Wahrscheinlich muß erst ein Kerngiftwerk hochgehen
und alle Pflanzen vernichten,
bevor Gras-Raucher als »schützenswerte Art«
deklariert werden.
Das Wort »Amnestie«
nehme ich erst gar nicht in den Mund —
da faßt sich halb Bonn
sofort an die Brieftasche.

Was ich nicht wußte,
und was ich nie erkannt hätte,
wenn ich weiter auf der Bühne geblieben wäre:
Die Menschheit macht ihre besten Gedanken sofort zu Geld,
anstatt zu kommunizieren.
Die Schriftsteller,
der ganze Medienbetrieb,
Radio, Fernsehen,
all das verstopft die Kommunikation.
Ich wäre selbst nicht in der Lage,
das auszudrücken,
wenn ich nicht,
wie die Leute sagen,
»am Ende« wäre,
wo ich ja immer wieder sage:
Es ist der Anfang.
Anfang und Ende,
das ist natürlich nicht dasselbe,
aber der Geist ist ohne Anfang und Ende,
und da schließt sich kein Kreis,
wie das Sprichwort sagt,
sondern es tut immer nur so,
in Wahrheit
ist es immer wieder die Spirale,
die unerschöpflich ist.

Und jetzt stell dir mal vor:
Ganz Frankfurt,
zum Beispiel,
entdeckt auf einmal,
daß der Mensch ein geistiges Wesen ist
und überlebt,
du kannst dir denken;
was da los ist.
Die Leute bringen sich um
vor Glück.
Deshalb sollen ja auch vor allem Mädchen
vorsichtig sein mit LSD:
Die stellen fest,
Mensch,
es ist ja alles ein Geist,
und ich kann hier jetzt ruhig aus dem Fenster springen,
ich komme sowieso wieder,
mein jetziger Körper gefällt mir nicht,
also springe ich.
Das totale innere Glück,
die Aufhebung der Dialektik,
auf einmal,
das ist
too much,
es muß sukzessive gehen,
langsam,
slowly,
Haschisch eben.
Aufhebung der Dialektik heißt:
Wir sind dabei,
die Gehirne der Menschheit
langsam auszuschalten.
Wir,
das ist nicht irgendeine Gruppe,
ein Verein,
eine Mafia,
dann schon eher die Pflanzen,
es ist Mutter Erde,
die sagt:
Es ist genug gedacht,
genug Wissen angeschafft,
nun schwingt mal schön,
ihr seid reif zum Schwingen.

Schwingen heißt törnen,
geistig arbeiten,
es heißt aber auch tanzen,
sich freuen.
Und das ist auch das Positive
an neuen Philosophen
wie Sloterdijk,
der mit dem Übergang
vom Zynismus zum Kynismus
nichts anderes beschreibt
als diesen Übergang zum Schwingen.
Viele Leute
kommen nur durch Verzweiflung zum Guten,
und darum gibt es den Zynismus,
würden sie durch Freude dorthin kommen,
müßten sie vor Glück aus dem Fenster springen,
und die Irrenanstalten würden überlaufen.
Einer der am wunderbarsten Verzweifelten
ist ja Schopenhauer,
gerade habe ich wieder so ein paar herrliche Sätze
über das Leid an der Welt gelesen
und mußte sofort einen Spruch darauf machen:
Schopenhauer hat sich gequält,
dem Arthur hat der Joint gefehlt.
Philosophie ohne Drogen
ist immer gelogen.

Sloterdijk ist ein guter Übergang,
wenn er sagt:
Bleibt cool,
die Sache liegt nicht im Tun,
sondern im Lassen,
aber viel wichtiger für die Frankfurter Schule
und ihre Anhänger
sind natürlich Leute wie der Bhagwan.
Sloterdijk weiß nur schon,
daß der die Dialektik aufhebt,
die Dialektik von Horkheimer und Adorno,
die so funktioniert:
Da geht ein Mann.
Nein, sagt einer, das sind zwei.
Erst dann geht da wirklich einer.
Wenn einer auf den Himmel deutet und sagt »Blau«,
wird er erst in dem Moment richtig blau,
wo ein anderer »Grün« sagt
und eine Idee und Theorie dazu entwickelt.
Auf einen Schlag kannst du diese Dialektik natürlich nicht ausschalten,
aber nach und nach.
Die Jugend der Erde ist im Moment dabei,
ihre Gehirne mittels Meditation und Drogen auszuschalten
und den Einheitszustand herzustellen.
Da fällt mir der Satz ein,
über den sich früher mal Frau Kipphoff in der »Zeit« beschwert hat,
weil ich ihn in meinem Programm verwendet habe,
ohne dazuzusagen: »Von Karl Kraus.«
Der hat diesen Satz über die absolute Dummheit gemacht,
die ihm irgendwo begegnete:
»Es genügt nicht,
keinen Gedanken zu haben,
man muß auch unfähig sein,
ihn auszudrücken.«

Heute, wo ich weiß,
daß die Dummen
es viel, viel näher zum Licht haben
als die belesenen Intellektuellen
und Alleswisser,
verstehe ich diesen Satz erst richtig:
»Keinen Gedanken haben«,
da mußt du nur LSD nehmen,
absolut keine Gedanken,
absolutes Vergessen,
»ihn nicht ausdrücken können« —
nimm Opium oder Heroin,
und du kriegst die Zunge nicht mehr rund.
Es ist ein High-Zustand,
den er selbst nicht kannte.
Und wie gesagt,
nicht ungefährlich,
denn du kannst dir vorstellen,
was passiert,
wenn Frau Müller aus Neukölln
plötzlich entdeckt,
daß sie
mit zum Göttlichen gehört.
Die springt vor Glück fünf Meter in die Luft,
und es gilt,
darauf zu achten,
daß sie weich landet,
darauf hat Dr. Hofmann,
der Erfinder des LSD,
immer wieder hingewiesen:
Was auch passiert,
du bleibst sitzen.
Du kriegst ein Gefühl,
daß du fliegen kannst,
du bleibst trotzdem sitzen,
du kriegst das Gefühl,
daß du 100 Meter in 4,1 rennen kannst,
du bleibst sitzen.
Und wenn du sitzenbleibst,
dann kriegst du mit,
wie wirkliche Kommunikation funktioniert:
schweigend.

Wolfgang Neuss